Spiel mit Wind und Kind
von Friederike Hiller
Sich Zeit geben und entspannt bleiben, das sind Anne Valvatnes Tipps für kitesurfende Mütter. Die Profikiterin hat ihren Körper neu kennengelernt. Ihr Kitesurfleben richtet sie jetzt nicht mehr nur nach dem Wind aus.
„Es ist nicht mehr die Frage: Wann komme ich aufs Wasser? Kiten kommt jetzt an zweiter Stelle“, berichtet Anne Valvatne. Ihre Eira ist jetzt etwas über ein Jahr alt, kennt den Strand und die für sie errichtete Strandmuschel, deren Areal mit Kitetaschen, Kiteboards und Trapez eine Barriere erhält. Auch das im Sand liegende Kiteboard ihrer Mutter hat Eira bereits krabbelnd erkundet. Anne und Eira sind ein eingespieltes Team. So bleibt Zeit, auf das vergangene Jahr zurück zu blicken.
In der Hängematte mit Eira

„In der Schwangerschaft war ich immer sehr aktiv und viel unterwegs. Daher war ich nach drei Monaten recht erschöpft und hatte nicht so viel Kraft für die Geburt und die Zeit danach“, berichtet die 36-Jährige. Und obwohl sie als Leistungssportlerin fit sei, habe die Geburt ihr Energielevel stark beeinflusst – mehr als wenn sie zehn Jahre jünger gewesen wäre, vermutet sie.
Einen Geburtsvorbereitungskurs hatte sie nicht besucht, dafür fehlte aufgrund der vielen Reisen die Zeit vor Ort. Professionelle Unterstützung zu bekommen, erwies sich zudem als schwierig. „In Hamburg muss man sich eigentlich schon, bevor man schwanger wird, darum kümmern, eine Hebamme zu haben.“ Eine aufregende neue Zeit für Anne. „Eira brauchte viel Körperwärme, viel Kontakt. Sie hat auf mir geschlafen. Es war unmöglich, sie irgendwo hinzulegen. Ich bin aber auch kein Freund davon, Kinder schreien zu lassen, um sie daran zu gewöhnen. Es ist anstrengend, aber auch die schönste Zeit. Das gönne ich jedem einmal im Leben: Ein Baby zu bekommen.“
Ende März war die Entbindung, Ende Mai wollte Anne Valvatne wieder auf dem Wasser sein. Den Plan verschob sie wieder – erst Mitte/Ende Juli stieg sie aufs Board. „Jeder denkt vorher, ich möchte schnell wieder aufs Wasser. Aber das ändert sich mit der Geburt. Man merkt einfach, dass der Körper fertig ist. Das Wichtigste ist, dass man sich die Zeit nimmt. Sich für die ersten Wochen Hilfe für den Haushalt holt, und um auch mal ein bisschen Zeit für den eigenen Körper zu haben.“
Ende Juni stand bereits ein Womens Camp auf dem Plan der Profikiterin. Doch das klappte nicht so, wie sie es sich vorgestellt hatte. Eira mochte nicht von jemand anderem betreut werden. „Aber es hat mich gar nicht gestört. Du wirst entspannter. Es ist nicht mehr ganz so wichtig, aufs Wasser zu kommen. Der Wind geht los und du bist ganz entspannt und zitterst nicht mehr so. Du genießt es ein bisschen, den anderen zuzuschauen. Ich war in der Hängematte im Schatten mit Eira.“

Foto: Valvatne
Nachhaltig anstatt schnell
Doch nicht nur die Betreuung von Eira stellte das Leben der Kitesurferin vor neue Herausforderungen. Auch ihre eigene körperliche Fitness entwickelte sich anders als erwartet. „Jeder Körper ist unterschiedlich und auch unterschiedlich fit. Auch das Alter spielt eine Rolle. Es ist besser, viel Zeit zu investieren, um nachhaltig fit zu werden, anstatt schnell fit werden zu wollen und sich dann zu verletzen oder so.“ Das musste sie auch am eigenen Körper erfahren. „Ich habe irgendwelche Übungen gemacht, von denen ich dachte, dass sie mir gut tun.“ Doch der durch die Schwangerschaft bedingte Spalt in der Bauchmuskulatur ließ sich mit gezielten Bauchmuskelübungen wie Planks und Push Ups nicht schließen, sondern verschlimmerte die Situation eher. „Die haben dafür gesorgt, dass meine Bauchmuskeln weiter auseinander gingen.“

Foto: Adrian Perovic
Ich habe viel Yoga gemacht“
In der verzweifelten Bauchmuskelsituation, während sie auch noch fernab der Heimat in Montenegro war, lernte sie in einem Online Kurs der Physiotherapeutin Sabine Meissner Übungen kennen, die ihr halfen, ihren Körper und die eigene Mitte neu zu erfahren und wahrzunehmen, wie sich der Körper verändert hat. Es waren keine Übungen, um wieder fit fürs Kiten zu werden, aber sie schlossen die Bauchmuskellücke. „Ich habe viel Yoga gemacht. Es stärkt Bauch, Balance, in sich zu gehen und in sich hinein zu spüren, zu atmen und zu fokussieren.“
Also ging sie mit Eira am Strand spazieren und schaute den anderen zu, bis sie wieder fit war. Dann wechselte sie sich mit ihrem Partner in der Betreuung von Eira ab, sodass immer einer Kiten gehen konnte und schließlich fühlte sich Eira auch bei Freunden oder Familie gut aufgehoben.

Foto: Adrian Perovic
Die Wende im Sitzen
In den ersten Kitesessions fühlte sich Anne Valvatne noch schwach. „Um meine Bauchmuskeln zu schonen, habe ich mich erst noch bei der Wende hingesetzt. Wenn man wieder aufs Wasser geht, merkt man erst, was für ein Kraftsport Kiten ist. Das war mir davor auch nicht so bewusst.“ Nach einem Monat wurde sie sicherer und Ende September – sechs Monate nach der Geburt - war es dann wieder Zeit für Kiteloops. Und dann kam der Unfall. „Ich wollte einen mega Loop raushauen.“ Doch oben im Loop ging der Wind aus. „Ich bin runtergeprallt.“ Das Wasser war tief, doch der Aufprall zertrümmerte ihre Ferse. Eine Operation und etwa drei Wochen auf Krücken waren die Folge. „Laut Wissenschaft braucht der Körper über zwei Jahre nach einer Geburt, um wieder im Normalzustand zu sein, was Muskeln, Sehnen, Bänder, Knochen und so weiter betrifft.“ So musste sie schmerzhaft erkennen, dass sie nach einem halben Jahr nicht wieder mit dem Leistungssport auf dem Level weiter machen konnte, auf dem sie vor der Schwangerschaft war.

Foto: Valvatne
Entspannt mit dem Kiten umgehen
Abgesehen von dem Unfall kite sie seit der Geburt ihrer Tochter viel bewusster – und mit einem neuen Körpergefühl. „Ich bin viel vorsichtiger gewesen, keine Risikos eingegangen.“ Sie nahm lieber den 8er als den 10er Kite, um sich sicherer zu fühlen, wenn sie sich aushakt. „Das kennt so keiner von mir. Normalerweise nehme ich immer den größeren Kite. Wie verletzlich ich noch war, wurde allen erst bewusst, als der Unfall passiert ist.“ Daher möchte sie Frauen motivieren, sich Zeit zu nehmen und am Anfang aufs Kitesurfen zu verzichte. „Es können Unfälle passieren und der Körper kann das alles noch nicht so aushalten, wie er es früher konnte. Alles ist noch weich und schwabbelig.“
Seit Oktober war die Profikiterin nicht mehr auf dem Wasser. Im Sommer möchte sie wieder anfangen. „Dann werde ich immer noch entspannt mit dem Kiten umgehen. Wenn sich mein Kind bei der Familie wohlfühlt, gehe ich aufs Wasser und wenn nicht, spiele ich mit meinem Kind.“
Bildnachweis Titelfoto: Adrian Perovic

Foto: Adrian Perovic
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