Geschichten im Licht des Leuchtturms

von Friederike Hiller

Mal geheimnisvoll still, mal sturmgepeitscht und energiegeladen: Die Geschichten des Meeres entwickeln sich direkt vor den Augen der Leuchtturmbewohnerin. Autorin Karin Buchholz nutzt ihren kleinen Leuchtturm als Rückzugs- und Arbeitsort.

Alles auf Anfang

Die Morgensonne taucht den kleinen Leuchtturm an der Flensburger Außenförde in warmes Licht. Nur die Vögel zwitschern, ab und zu schreit eine Möwe, ansonsten ist es vollkommen still. Es ist Zeit aufzustehen, auch wenn es bei den ersten Sonnenstrahlen um diese Jahreszeit noch recht früh ist. Der frühe Morgen hat für Karin Buchholz eine ungeheure Energie. „So wie der Frühling.“ Alles steht auf Start, es kann losgehen. Die Farbpalette ist bereit, der Tag kann gemalt werden.

Entschleunigung beim Blick aufs Wasser

Die Autorin bereitet sich einen Kaffee zu. Der gehört für sie zum Start in den Tag dazu. Und sie genießt ihn, denn sich Zeit nehmen, Inseln für Gedanken und Geschichten schaffen, das gehört sozusagen zum Handwerkszeug der Autorin. Daher zieht sie sich auch zum Arbeiten auf ihren kleinen Leuchtturm zurück. Aus der ersten Etage hat sie einen Ausblick wie von der Brücke eines großen Schiffes. Vor ihren Augen liegt das blaue Meer, der Dunst lässt die Umrisse Dänemarks an diesem Morgen nur schemenhaft erkennen. „Das ist meine Fototapete“, sagt Karin Buchholz lachend. Doch diese Tapete bewegt sich und offenbart sich in den unterschiedlichsten Farbfacetten und Zuständen – von spiegelglattem Flautenwasser bis hin zu sturmgepeitschter See. „Wenn ich hier ankomme, dann tauche ich sofort ein und entschleunige“, schwärmt sie.

Augenzwinkernder Lütte

Und dann ist die Lütte auf dem Lütten ganz in ihrem Element. „Das war schon mein Spitzname als Kind.“ So reifte in ihr auch das Bedürfnis heran, ihren Lütten zu skizzieren – ein Kinderbuch entstand. Ihr Leuchtturm bekam Augen und eine Stimme. Immer, wenn sie jetzt ihren Leuchtturm sieht, dann sieht sie auch seine Augen und muss schmunzeln.

Nachspürgeschichten

Je ruhiger es um sie herum ist, desto lauter werden die Gedanken im Kopf und die Geschichten fangen an, ihren Weg zu Karin Buchholz zu finden. Insbesondere wenn diese Geschichten vom Meer handeln, dann haben sie oft eine nachdenkliche Komponente, es sind „Nachspürgeschichten“, wie die Autorin sie bezeichnet.

Autobiografisch sind sie nicht. Es ist eher, wie ein imaginäres Interview mit einer Person, die der Leuchtturmbewohnerin ihre Geschichte erzählt und die sie dann niederschreibt. Ein nonverbales Gespräch über das Strandgut oder auch die Gezeiten des Lebens. Dann fühle sie die Figur, sehe sie vor ihrem inneren Auge.

Ihre Kurzgeschichten sind so unterschiedlich wie das Leben. Manchmal gibt sie einen Ort, wie das Meer vor, ein anderes Mal überlässt sie es ganz der Fantasie der Leser, einen Ort im Kopf entstehen zu lassen. „Es ist schön, die Leser ihre eigenen Bilder erleben zu lassen und nicht alles vorzugeben“, verrät sie.

Wenn die Figur mit im Raum steht

So einsam auch die Schreibarbeit ist, so gerne präsentiert sie sich und ihre Geschichten bei Lesungen, dann sucht sie den Kontakt. „Die Geschichten erhalten dann eine ganz andere Dimension, eine ganz andere Tiefe.“ Und wenn sie dann in die Gesichter ihrer Zuhörer schaut und sieht, dass auch sie ihre Hauptfigur mit im Raum spüren, dann sei das ein ganz besonderes Geschenk.

Aktive Nichtschwimmerin mit Liebe zum Meer

Mal den Stecker ziehen, die Welt für eine Weile aussperren, das gelingt Karin Buchholz beim Anblick des Wassers – allerdings weniger, wenn sie hineingeht. Denn die gebürtige Niedersächsin bezeichnet sich selbst als „aktive Nichtschwimmerin“. Wenn es sein muss, geht sie mal ins Wasser, aber eigentlich muss es ja nicht sein. Das Wasser hat trotzdem viele Bedeutungen für sie. „Es ist eine Spiegelung des Lebens. Dinge, die angespült werden. Spuren, die verwischen. Die Unendlichkeit und das Geheimnisvolle faszinieren mich.“ Zudem liebe sie das Naturschauspiel mit seinen Farben und seinem Geruch. „Das Element Wasser ist Leben.“ Und auch ganz viel Fernweh, Aufbruch und Reise. Sobald sie den Begriff Reise höre, erscheint vor ihrem inneren Auge das Bild eines alten Traditionsseglers mit geblähten Segeln.

Die Lichter am Meer

Wenn es Abend wird, leuchten Lichter übers Wasser herüber. Tausende Lichtpunkte im Dunkeln der Nacht, die Karin Buchholz als ihre Fjordlichter bezeichnet. „Es sind tausend Geschichten. Im Kopf habe ich sofort ein Bild, welche Geschichte hinter welchem Licht steckt.“ Während dies die Lichter der Gegenwart sind, sind die am Himmel die Lichter der Vergangenheit. Und was sind die Lichter der Zukunft? „Vielleicht die der Leuchttürme, die wie ein Kompass den Weg zeigen.“ So wie ihr eigener, der Kompass zu ihren Geschichten ist. Es ist der Ort, an dem sie spürt, dass sie gerade an keinem anderen sein möchte – sondern ganz da ist. Karin Buchholz ist dankbar, dass es diesen Fleck Erde - mit Wasser kombiniert - für sie gibt. „Es ist nicht der Ort für Jeden. Man muss seine Gedanken auch aushalten können.“

Für sie ist er perfekt. Ohne diesen Rückzugsort könnte sie nicht das tun, was sie tut – Figuren zum Leben erwecken.

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