Im Sog des Surfens

von Friederike Hiller (Kommentare: 1)

Das Meer, die Brandung, das Surfen. Ein Lebensgefühl. Jim Heimann hat in „Surfing“ diesem nachgespürt, um die Suche nach der perfekten Welle und dem Moment, mit seinen Gedanken allein zu sein, erlebbar zu machen. Der Bildband ist eine schöne 600-Seiten umfassende Geschenkidee, nicht nur für Surfer. 

Cover des Buches Surfing von Jim Heimann

„Surfen ist ein komplexer und einzigartiger Sport. Es kann unwägbar und todbringend sein, harmlos und stürmisch, ekstatisch und befriedigend“, mit diesen Worten beschreibt Jim Heimann den „Sport der Könige“. Als Jugendlicher hat er die 60er Jahren in Südkalifornien verbracht. Mit der Surfeuphorie aufgewachsen, erlebte Heimann, wie das Surfen Einfluss auf Musik, Mode, Lifestyle und Sprache nahm. Nun lässt er die Leser des Buchs „Surfing“ in diese Welt eintauchen.

Das Wort Buch ist ein niedlicher Begriff für das 592 Seiten umfassende Bildwerk, das aufgrund von Größe und Gewicht wahrlich als Schinken bezeichnet werden kann. Allerdings sei gleich dazu gesagt, als kunst- und stilvoller. Bereits die Anlieferung zeigt, dass es sich hierbei um ein besonderes Exemplar handelt. Handlich in einer tragbaren Hülle, lässt es sich bequem von einem Ort zum anderen mitnehmen. Und so ist immer ein Stück Surfgeschichte von den Anfängen bis zur Gegenwart an der Seite des Lesers.

Sechs Autoren beleuchten fünf Zeitabschnitte in der Historie des Surfens. Zahlreiche Malereien, Werbeplakate, Photos und Abbildungen der zur jeweiligen Zeit aktuellen Surfmode, lassen den Surf-Spirit lebendig werden.

Von den Anfängen des Surfens bis 1945

„Auf Hawaii entwickelte sich das Surfen etwa ab 1200 nach Christus zur kollektiven Obsession“, blickt Matt Warshaw auf die Anfänge. Mit seiner Erzählung werden auch die Bilder vor dem geistigen Auge lebendig, als James Cook und seine Schiffsbesatzungen die surfenden Männer vor Hawaii zum ersten Mal zu Gesicht bekamen. William Anderson, Schiffsarzt auf der „Resolution“ soll seine Beobachten so beschrieben haben: „Ich konnte nicht umhin zu folgern, dass dieser Mann allergrößtes Vergnügen empfand, als ihn das Meer so rasch und leicht vorantrieb.“ Die Faszination für das Surfen teilten die Missionare, die später die Inseln aufsuchten, nicht. Und so leerten sich die Line-ups im Laufe des 19. Jahrhunderts aufgrund von Syphilis und Cholera, neuen Gesetzen und Verboten, endlos langen Arbeitstagen, Umstürzen und Landeinnahmen. Ein Aufschwung war Anfang des 20. Jahrhunderts in Sicht, als das Surfen als Essenz aus Südseeromantik und aufregender Unterhaltung vermarktet werden konnte. Als 1908 die Surferszene von Waikiki aufblühte und George Freeth dort zu Gast war, brachte der Kalifornier bei seiner Rückkehr zusammen mit einer Acht-Fuß-Redwoodplanke das Surfen in seine Heimat mit. Zudem machte ein entspannt auf dem Brett stehender Duke Kahanamoku das Surfen populärer. Tom Blake gewann 1935 die ersten Championchips, australische Rettungsschwimmer entwickelten parallel ihre eigene Surfkultur und John Kelly verjüngte das Tail und brachte so eine neue Brettform auf das Wasser.

Im Zweiten Weltkrieg konnten einige Surfer ihren Sport nur in Tagträumen ausleben. „Auch das war eine Form von Patriotismus, die Sehnsucht nach jenen Alltagsvergnügen, die der Frieden und eine freie Gesellschaft erlauben“, schreibt Warshaw.

Die Kleidung, die Bretter, die Musik, die Wettkämpfe, Rivalitäten und Freundschaften sind alle nur Begleiterscheinungen, die Hauptrolle spielt das Wasser.

Die Welle kommt bis 1961 ins Rollen

Ein Foto von 1940 zeigt, wie sich Werbung dem Thema Surfen näherte

„Ein gesundes Leben in freier Natur, das sich um Gezeiten und das Ringen mit sturmgepeitschten Wellen drehte, war eine höchst verlockende Laissez-faire-Alternative zum grauen Bürodasein als Rädchen im Getriebe der US-amerikanischen Wirtschaft“, läutet Steve Barilotti die Episode von 1946 bis 1961 ein. In diese Zeitspanne fallen die Entwicklung der ersten Boardshorts – „diese Shorts waren dazu gedacht, strapaziert zu werden und der Welt zu zeigen, dass man Surfer war“ -, das erste Surf-Magazin und auch der erste Surf-Film „Gidget“. Als Baustoff für die Boards lösten PU-Schaum und Glasfaser das Holz ab.

Surfen wird zur Weltanschauung bis 1969

Lässig lehnen Jungs und Mädchen an ihrem Auto, das mit Surfbrettern beladen ist. Eine der Schwarz-Weiß-Aufnahmen aus dem Jahr 1962. Ebenso lässig trägt Mickey Munoz Tina Trunick während er surft auf der Schulter. Die unscharf am Bildrand zu sehenden baumelnden Füße der auf der Pier sitzenden Zuschauer zeigt, dass das Surfen Massen begeisterte.

„Die Leute sehen diese Hingabe, sie wissen, dass da irgendetwas dran ist, und wollen auch ein Stück davon, aber sie können es nicht kaufen. Das gibt es nicht abgepackt wie Steaks. Das steckt entweder in dir drin oder eben nicht“, zitiert Chris Dixon den Big-Wave-Surfer Greg Noll aus den 60ern, in denen Pepsi als erster Championship-Sponsor auftrat, die Surfkultur mit den Beach Boys in die Musik Einzug hielt und der Film „The Endless Summer“ erschien. Das Filmplakat ziert ebenso das Kapitel wie eine aufklappbare Bebilderung mit den Surfboard-Typen von 1904 bis 2009 und von 5,9 bis 15 Fuß (4,5 Meter) Länge.

Surfer Outer Reef North Shore, Hawaii

Leash, Wettkämpfe und Umweltschutz

Mit einer neuen Form des Boards entwickelte sich in den 70ern ein neuer Surfstil. „Vorbei die Zeiten ausgefallener Fußarbeit und allzu auffälliger „Kühlergrill“-Posen“, berichtet Drew Kampion. „Surfen wurde mit anderen Worten vom Brettreiten zum Wellenreiten.“ Vom Long- zum Shortboard. Die Leash wurde als Deppenstrick eingeführt, eroberte aber schnell die Position der Standardausrüstung. Die Bretter schrumpften auf fünf bis sechs Fuß, das Drei-Finnen-Board kam aus Australien und der Surftourismus startete in den 70ern. Nach 1984 „formierten sich überall auf der Welt Organisationen, die die Küstennatur schützen und freien Zugang zu Stränden und Surfspots erhalten wollten, und die Sprachrohre des Surfsports richteten ihr Augenmerk verstärkt auf den Umweltschutz, der bis heute zu den Grundpfeilern im Wertesystem der Surfkultur zählt.“

Surfing - Das Buch - Fazit: lesenswert

Eingängige Beschreibungen machen den Blick in die Vergangenheit lebendig. Das Lebensgefühl von Generationen wird durch die Vermischung von Fotos, Abbildungen und Text greifbar. Auch für Surfer hält das Werk ungeahnte Informationen bereit. Für Surflaien könnte allerdings der ein oder andere Fachausdruck ein Fragezeichen ins Gesicht zaubern. Während Line-up noch erklärt wird, bleiben Begriffe wie Wipe-out, Bottom-turn und Close-out ohne weitere Beschreibung.

Die einzelnen Zeitabschnitte sind nicht stringend chronologisch. Das führt zu einer thematischen Aufteilung, die das Lesen spannend gestaltet, allerdings auch bei einem Zeitsprung kurzzeitig zu Verwirrung führen kann.

Aus 7000 Bildern hat Jim Heimann eine hervorragende Auswahl getroffen. Die treibende Kraft der Surfer, im Einklang mit der großen Mutter Ozean zu sein, wie Heimann eingangs beschreibt, findet der Leser wieder. Ebenso wie seine Aussage: „Die Hauptrolle spielt das Wasser.“

Und seine Liebe dazu. Denn mit seinen eigenen Wurzeln in der Surfkultur ist es ihm gelungen, mit Liebe zum Detail die Bildauswahl zu treffen. Ebenso das Leseband, das in Form eines Surfbretts dazu einlädt, durch die Episoden zu surfen.

„Was einem das Surfen gibt, ist in etwas so Greifbarem und Handfestem wie einem Buch nicht wiederzugeben“, so Heimann. Aber es hat das Gefühl davon vermittelt, wie sich um das Surfen eine alle Lebensbereiche umfassende Szene und Kultur entwickeln konnte.

Und greifbar wird es dann, wenn bereits die Surfanfänger eine typische Pose, die sie im Surfcamp gelernt haben, auf zahlreichen Fotos wiederfinden: mit dem Rücken an das senkrecht in den Sand gesteckte Surfboard gelehnt.

Surfing. 1778-2015 Taschen-Verlag, Erscheinungsjahr 2016, 592 Seiten, ISBN: 978-3-8365-3756-8

Bildnachweise: Taschen-Verlag

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