Der Minister und die Kitezonen
von Friederike Hiller (Kommentare: 5)
Prinzipienstreit, kein Verständnis für die andere Seite? Eigentlich wollen beide Seiten nur das Eine: Natur und Sport in Einklang bringen. Umweltminister Robert Habeck (Grüne) sowie Matthias Regber, Vorsitzender des Ausschusses für Wind- und Kitesurfen beim Deutschen Segler-Verband (DSV) und Dr. Jörgen Vogt, CEO Global Kitesports Association, erklären, wie das aus ihrer Sicht funktionieren kann.
Robert Habeck und Matthias Regber im Gespräch
Ein Interview, zwei Parteien: Robert Habeck erklärt die Details zum Kiteverbots-Streit an Nordsee und Ostsee. Das Melur (Ministerium für Energiewende, Landwirtschaft, Umwelt und ländliche Räume) will die Befahrensverordnung ändern lassen, sodass Kitesurfen nur noch in bestimmten Zonen im Naturpark Wattenmeer erlaubt ist. Dies diene dem Vogelschutz, so die Begründung. Matthias Regber als Vertreter der Kiteverbände sowie mit der Unterstützung durch Jörgen Vogt und dem Netzwerk Lilal (Love it like a local) nimmt Stellung zu diesen Aussagen.
Kite- oder Kiteverbotszonen?
Herr Habeck, weshalb fiel die Entscheidung, Kite-Zonen und nicht Kite-Verbots-Zonen (also Schutzzonen für Vögel) einzurichten?
Robert Habeck: Um den Kitern die Sorge zu nehmen, dass wir ihren Sport unnötig beschneiden wollen. Kitesurfen hat seinen Platz auf Nord- und Ostsee. Das stand auch zu keinem Zeitpunkt in Frage, aber die Debatte über ein generelles Verbot im Nationalpark Wattenmeer hat den Blick dafür verstellt. Wir greifen also das Anliegen der Kiteverbände auf und werden kein generelles Verbot mit Ausnahmen beantragen, sondern die Ausweisung von Kite-Gebieten.
Kiten zu regeln, ist ja übrigens keine neue Idee. Für das Wattenmeer wurden schon 2010 – auch von der CDU-geführten Vorgängerregierung – auf der Trilateralen Wattenmeer-Konferenz Kite-Gebiete gefordert. Seitdem hat der Regelungsbedarf zugenommen, weil der Sport immer populärer wird, was erstmal super ist. Ich finde Kiten 1000 Mal besser als Speedboat-fahren. Es ist ja ein naturnaher Sport. Aber der Nationalpark ist insgesamt ein ganz besonderes nationales und internationales Schutzgebiet, deshalb muss man schauen, wie der Sport mit der Natur zusammenpasst. Das hat die Nationalparkverwaltung getan und gemeinsam mit vielen Akteuren aus der Region eine Kulisse für Kite-Gebiete ausgearbeitet. Sie sieht vor, dass nahezu alle Strände und die gut erreichbaren Spots, die bisher genutzt wurden, auch weiter nutzbar sein sollen. Im Moment wird das noch in Detailkarten eingearbeitet.
Und bei der Ostsee stammt das, was auf den Weg gebracht wurde, 1:1 von der CDU/FDP- Vorgängerregierung. Sie hat 2009 und 2011 beim Bund Anträge auf Befahrensregelungen gestellt, um Kitesurfen und genauso andere Wassersportarten in Naturschutzgebieten einzuschränken. Der Bund hat Jahre lang nichts entschieden, und schließlich uns, die neue Landesregierung, aufgefordert, den Antrag zu wiederholen. Das haben wir 2015 gemacht. Wie gesagt: In der Ostsee geht es um die Naturschutzgebiete, das sind sehr kleine Flächen, und dort soll – neben lauter anderen Regelungen für diverse Wasserfahrzeuge – eben auch nicht gekitet werden. Ist es für Kiter tatsächlich ein Problem, nicht in Naturschutzgebieten kiten zu können? Es geht hier um 0,29 Prozent der schleswig-holsteinischen Ostseeküstengewässer.
Matthias Regber: Dies ist nicht richtig dargestellt. Die Einführung von Kitezonen würde einem generellen Kiteverbot mit lokalen Ausnahmen entsprechen, denn außerhalb der Kitezonen wäre die Ausübung des Sportes ja nicht mehr erlaubt. Die entspricht ausdrücklich nicht dem Anliegen der Verbände.
Der Verweis auf die Vorgängerregierung ist sehr schwach. Macht sich Minister Habeck denn auch alle weiteren politischen Beschlüsse der Vorgängerregierung zu eigen?!?
Der Verweis auf die Prozentangabe ist nicht zielführend. Kiten wird strandnah ausgeübt. Hier gibt es durch Badezonen, militärische Sperrgebiete und Schifffahrtsstraßen nur noch wenige nutzbare Bereiche. Es drohen nun weitere Einschränkungen. Wenn der Minister eine Prozentangabe machen möchte, wäre es interessant zu erfahren, auf wie viel Prozent der praktisch nutzbaren Fläche das Kiten nach seinen Vorstellungen noch erlaubt wäre.
Alle Strände und die gut erreichbaren Spots, die bisher genutzt wurden, sollen auch weiter nutzbar sein.
Gleichbehandlung bei den Regelungen
Könnten nicht mit ausgewiesenen Verbotszonen, beispielsweise für Brutplätze, alle vom Wassersportler bis Spaziergänger gleich behandelt werden?
Robert Habeck: Genauso ist es ja. Es gibt schon lauter Regelungen für alle möglichen Nutzungen, von Reiten bis zur Muschelfischerei. In Schutzgebieten gibt es Betretensregelungen für Fußgänger, sensible Brut- und Rastgebiete sind häufig gesperrt, Hunde dürfen, wenn überhaupt, nur an der Leine laufen. Dass die Kiter im Nationalpark Wattenmeer jetzt gesondert angesprochen werden, liegt an der hohen Mobilität, ihrer Flachwassergängigkeit, dem Schirm und der meist unmittelbaren Nähe der Kite-Gebiete zu den Brut- und Rastgebieten. Segler, Windsurfer und Motorboote können die oft ja nur wenige Zentimeter flachen Gebiete in der Regel gar nicht erreichen. Für Wasserfahrzeuge gibt es im Übrigen bereits Regelungen für Rastgebiete von Vögeln und Robben.
Ich möchte übrigens darauf hinweisen, dass das, was jetzt für die Meere geplant ist, auf vielen Seen völlig normal ist. Vom Bodensee bis zum Steinhuder Meer gibt es diese Regeln. Es werden festgelegte Kite-Gebiete sogar mit Einstiegsstellen ausgewiesen, teilweise mit jahreszeitlichen Befristungen, und im Gegensatz zu den bei uns geplanten Kite-Gebieten im Nationalpark Wattenmeer sind die Gebiete andernorts sehr klein. Wir müssen eben immer gegenseitige Rücksicht nehmen, es kann nicht darum gehen, nur eine Seite durchzusetzen, sondern darum, die verschiedenen Belange zusammenzubringen.
Matthias Regber: Die Verbände sprechen sich vielmehr gegen ein generelles Kiteverbot und für die Einführung von Schutzzonen aus, wo sie begründet sind. In diesen Schutzzonen muss es aber eine Gleichbehandlung von allen potenziellen Störquellen geben. Neben den Kitern wären also auch Paddler, Spaziergänger, Fischerei usw. betroffen. So wäre ein wirklich nachhaltiger Schutz sichergestellt. Die vom Minister angesprochenen „wenige Zentimeter flachen Gebiete“ werden im Normalfall sowieso nicht von Kitern genutzt. Paddler und andere Störquellen sind hier gleichwohl anzutreffen und sind ebenso „mobil“.
Unterschiedliche Wassersportzonen sind meistens aus Gründen der Gefahrenvermeidung eingeführt worden. Dies hat nichts mit Umweltschutzaspekten zu tun. Hier werden verschiedene Themen vermischt.
Neben den Kitern wären also auch Paddler, Spaziergänger, Fischerei usw. betroffen.
Anpassung im Einvernehmen
Wie soll verhindert werden, dass sich die anfänglich festgelegten Kitezonen immer weiter verkleinern, wie es in Niedersachsen der Fall ist?
Robert Habeck: Wir machen es ja anders als Niedersachsen. Für uns in Schleswig-Holstein ist klar: Die Kite-Gebiete sollen dauerhaft ausgewiesen werden und nicht über befristete Ausnahmen zugelassen. Es war auch nie die Rede von Befristungen. Damit ist schon mal viel Planungssicherheit gegeben.
Für den Fall, dass sich die Natur – und damit auch die Kitegebiete –faktisch verändern, biete ich an, eine begleitende Vereinbarung zu schließen, über die Anpassungen im gegenseitigen Einvernehmen – von Gemeinden, Touristikern, Kitesurfern, Naturschutzverbänden und den zuständigen Verwaltungen - möglich sind. Das würde zusätzliche Sicherheit schaffen. Allerdings setzt eine Vereinbarung voraus, dass sich alle Seiten einigen wollen und Verständnis füreinander aufbringen. Es geht also nur, wenn man nicht auf Prinzipien beharrt, sondern eine Lösung in der Sache will. Ich hatte die Kitevertreter zuletzt so verstanden, dass sie ein großes Interesse an der Natur haben und gar nicht überall kiten wollen.
Matthias Regber: Eine wirkliche Sicherheit für die Wassersportler ist hier nicht gegeben. Oder ist die Aussage des Ministers so zu verstehen, dass zusätzliche Kitegebiete ausgewiesen oder bestehende ausgeweitet werden, wenn diese Flächen faktisch durch Kitesurfer genutzt werden?
Gerade wenn man als Minister Verständnis füreinander einfordert, sollte man sachliche und sinnvolle Wege gehen. Lokale Schutzzonen kann jeder nachvollziehen und sie können bei Veränderungen auch problemlos flexibel angepasst werden. Wenn das konkrete Schutzbedürfnis nachgewiesen wird und alle Störquellen gleichermaßen betroffen sind, wird hierfür auch jeder Verständnis aufbringen.
Ich hatte die Kitevertreter zuletzt so verstanden, dass sie ein großes Interesse an der Natur haben und gar nicht überall kiten wollen.
Belegen Studien Störwirkung?
Gibt es eine Studie, die belegt, dass das Kiten nachhaltige Störwirkungen auf Brut- und Rastvögel hat?
Robert Habeck: Ja, ungefähr 15 Studien belegen Störwirkungen. Die Literaturliste steht auf unserer Homepage. Derzeit wird noch eine Auswertung, eine Art Mantelstudie, erstellt, die diese Gutachten zusammenfasst. Sobald diese fertig ist, werden wir auch sie auf unserer Internetseite verlinken.
Matthias Regber: Die vorliegenden Studien belegen, dass Kitesurfen nicht die kritische Störquelle darstellt. Spaziergänger mit Hunden verursachen zum Beispiel wesentlich kritischere Störungen um nur ein Beispiel zu nennen. Wirklicher Schutz ist nur durch die Vermeidung aller Störquellen realisierbar. Deshalb ist eine Sonderbehandlung für Kiter nicht nur diskriminierend, sondern auch sachlich falsch.
Nachgefragt: Die Gutachten über Gebiete in Niedersachsen belegen, dass die größten Störfaktor für Vögel Spaziergänger mit oder ohne Hund sind. Ein Kiter sollte in die Schutzzone, auf 100 Meter an die Schellbank heranfahren. Das Gutachten bestätigt keine Fluchtreaktion. Sogar sollen Vögel „überraschend dicht an den Kitern vorbeigeflogen sein.“
Robert Habeck: Die Studie aus Niedersachsen bezieht sich auf ein Gebiet, das ja gerade als Kite-Gebiet ausgesucht wurde und ausgewiesen ist. Die Studie überprüft also, ob das Kiten dort – wie bei der Auswahl des Gebietes durch die zuständige Naturschutzbehörde angenommen – naturverträglich ist. Die Ergebnisse zeigen daher vor allem, dass das Gebiet richtig ausgesucht wurde. Daraus abzuleiten, dass Kiten in allen anderen Gebieten unproblematisch ist, ist ein logischer Fehlschluss.
Wirklicher Schutz ist nur durch die Vermeidung aller Störquellen realisierbar.
Wer oder was ist der Störfaktor in der Ostsee?
Zur Ostsee: In dem Gutachten „Erfassung und Bewertung seewärtiger Störungen in Ostsee-Schutzgebieten“ sind Störungen durch Kiter in den Gebieten Sehlendorfer Binnensee, Orther Bucht und Grüner Birk beobachtet worden. Wieso beschränken sich die Kite-Verbots-Zonen nicht nur auf diese Gebiete?
Robert Habeck: Das Gutachten ist kein spezielles Kite-Gutachten, sondern es hat Störungen durch Bootsverkehr aller Art in den Naturschutzgebieten geprüft. Es ist daher nicht immer jede Sportart einzeln benannt. Die Untersuchung stammt übrigens von 2009 - damals wurde noch kaum gekitet, jedenfalls nicht im heutigen Umfang. Es sind also die Störungen betrachtet worden, die damals besonders auffielen. Wenn sich Windsurfen oder Segler auf die Natur auswirken, ist davon auszugehen, dass Kitesurfen das auch tut. Und noch mal: Es sind in der Ostsee sehr kleine Gebiete, und sie stehen eben unter Naturschutz.
Matthias Regber: Derartige wissenschaftlich nicht belegte Schlüsse lehnen wir ab. Aber gerade wenn der Minister Störungen in dieser Form verallgemeinert, spricht dies ja wieder für die Einführung von lokalen Schutzzonen. So muss nicht zwischen unterschiedlichen Störquellen unterschieden werden. Vielmehr kann dort wo es begründet ist, Schutz vor allen Störquellen sichergestellt werden.
Wie viel Platz bleibt noch zum Kitesurfen?
Eckernförder Bucht und Kieler Bucht bis Fehmarn: Abzüglich der Gebiete, die künftig nicht mehr genutzt werden dürfen und abzüglich von Häfen, Militärsperrgebieten, Badezonen usw. bleiben in diesen zwei Bereichen nur noch sehr kleine Gebiete, die zum Kitesurfen genutzt werden dürfen. Ist das richtig?
Robert Habeck: Wir haben hier keinen Überblick, wo und aus welchen Gründen Kitesurfen nicht möglich ist. Wir bitten nur um Rücksicht auf die Natur in den wenigen Naturschutzgebieten, den wenigen verbliebenen Refugien für die Vögel der Küste und der Strände. Ist das unzumutbar?
Matthias Regber: Wenn man Verständnis einfordert, setzt dies voraus, dass man sich auch umgekehrt mit der Lage der Betroffenen auseinandersetzt. Der Minister gibt hier jedoch zu, dass er keinen Überblick über die Situation der Kiter habe. Es ist aber sowohl sachlich als auch politisch unklug, zu Handeln, ohne die wirkliche Sachlage zu kennen.
Auch in diesem Fall bieten sich lokale Schutzzonen als gute Lösung an. Die Betroffenen vor Ort kennen die Lage meistens am besten. Auf lokaler Ebene wird auch viel leichter Verständnis für die verschiedenen Bedürfnisse aufgebracht.
Die Betroffenen vor Ort kennen die Lage meistens am besten.
Mitte März sind weitere Gespräche geplant
Wie ist das weitere Vorgehen geplant? Soll es ein weiteres Treffen mit den Verbänden, wie Love it like a local, GKA und DSV geben, um über die Gebiete detailliert zu diskutieren?
Robert Habeck: Für die Ostsee werden wir Mitte März in der Region sein, um die geplanten Regelungen dort noch mal zu erläutern und über den Schutz von Winter-Rastgebieten zu sprechen. Zur Nordsee werden wir die überregionalen Vertreter des Kitesports zu einem erneuten Treffen einladen, wenn die Gebiete im Nationalpark auf Karten verortet sind und wir einen Vorschlag haben, wie sich der Antrag auf Änderung der Befahrensregelung in den Nationalparken formulieren lässt. Dann hoffe ich, dass wir zu Lösungen kommen. Man muss sich entscheiden, ob man einen Prinzipienstreit führt – oder an praktikablen Lösungen arbeitet. Ich bin für letzteres und werde in diesem Sinne gemeinsam mit meinen Fachleuten die Gespräche führen.
Matthias Regber: In diesem Punkt können wir dem Minister nur zustimmen. Aber auch in diesem Fall gilt das in alle Richtungen. Eine Einführung von Kitezonen wäre diskriminierend, sachlich falsch und nicht hilfreich. Ein Beharren hierauf wäre pure Prinzipienreiterei und würde keinen umfassenden Schutz für die Natur sicherstellen.
Wir würden es begrüßen, wenn der Minister die praktikable Lösung von lokalen Schutzzonen umsetzt und so einen optimalen Kompromiss zwischen Schutz von kritischen Zonen und Nutzungsmöglichkeiten für die Allgemeinheit sicherstellt.
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Bildnachweis: Verena Münch/pixelio.de